Freitag, 16. Juli | junge Welt | Nick Brauns
129-b-Verfahren: Verurteilung von mutmaßlichen DHKP-C-Mitgliedern in Stuttgart-Stammheim. Auch Befreiungsbewegungen wie die Tamil Tigers aus Sri Lanka im Visier
Zwei linke Aktivisten aus der Türkei sind am Donnerstag vom Oberlandesgericht Stuttgart-Stammheim zu Haftstrafen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach Paragraph 129b Strafgesetzbuch verurteilt worden. Die nach 29-monatiger Prozeßdauer gefällten Urteile lauteten auf vier Jahre und zehn Monate für Devrim Güler und fünf Jahre und vier Monate Haft für Ahmet Düzgün Yüksel. Das Gericht sah es als erwiesen an, daß die 36 und 48 Jahre alten Männer mit der Organisation von Schulungen, Geldsammlungen und Waffenschmuggel die Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) in der Türkei unterstützt hätten. Eine unmittelbare Beteiligung an einem Anschlag der DHKP-C wurde den Männern nicht vorgeworfen. Doch als Funktionäre der DHKP-C hätten sie mit Spendensammlungen und dem Verkauf von Zeitschriften sowie von Eintrittskarten für Solidaritätsveranstaltungen dazu beigetragen, daß die Organisation in der Türkei schwerste Straftaten bis hin zu Selbstmordanschlägen und Attentaten auf Politiker verübte, so der Vorsitzende Richter Hermann Wieland. Die Verteidiger kritisierten, daß der Großteil der angeblichen Beweise gegen ihre Mandanten von türkischen Polizei- und Justizstellen stammt, obwohl dort nachweislich gefoltert wird und solche Materialien nicht in ein deutsches Gerichtsverfahren eingeführt werden dürften. Selbst Richter Wieland gestand ein, daß ein Zeuge, auf dessen Wissen sich die Bundesanwaltschaft stützte, für den Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz sowie den türkischen Geheimdienst MIT gearbeitet habe. Die Verteidiger bezeichneten das Urteil als »skandalös« und kündigten an, in Revision zu gehen und die sofortige Haftentlassung ihrer Mandanten zu beantragen.
Bereits im vergangenen Jahr waren im selben Verfahren drei weitere Angeklagte zu Haftstrafen zwischen zwei Jahren und elf Monaten und fünf Jahren verurteilt worden, nachdem sie eine Mitgliedschaft in der DHKP-C gestanden hatten. Der Stammheimer Prozeß wird als Präzedenzfall eingeschätzt, um den nach den Anschlägen vom 11. September 2001 neugeschaffenen Paragraphen 129 b Strafgesetzbuch (StGB) nicht nur gegen islamistische Gruppierungen, sondern auch gegen revolutionäre linke und Befreiungsbewegungen einzusetzen. So läuft seit Frühjahr vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht ein weiteres DHKP-C-Verfahren gegen Mitglieder der legalen »Anatolischen Föderation«. Den drei Angeklagten wird unter anderem vorgeworfen, mit Spendensammlungen für politische Gefangene in der Türkei die Organisation unterstützt zu haben.
Wie die Bundesregierung kürzlich auf eine schriftliche Frage der Abgeordneten Ulla Jelpke (DIE LINKE) erklärte, können auch Unterstützer der Befreiungsbewegung Tamil Tigers (LTTE) aus Sri Lanka in Deutschland auf Grundlage des Paragraphs 129b verfolgt werden. Mehrere Mitglieder des Tamilischen Koordinationskomitees aus Oberhausen befinden sich bereits wegen dieses Vorwurfs in Untersuchungshaft. Auch gegen die Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, deren Kader bislang »nur« als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung nach Paragraph 129 StGB verfolgt werden, wird inzwischen von der Bundesanwaltschaft die Anwendung des mit weitreichenderen Verfolgungsvollmachten ausgestatteten Paragraphen 129b StGB erwogen, wie junge Welt aus Justizkreisen in Erfahrung bringen konnte.
Unterdessen wurde zu Wochenbeginn ein im Mai im französischen Colmar festgenommener mutmaßlicher Führungskader der DHKP-C zur Strafverfolgung nach Deutschland ausgeliefert. Die Bundesanwaltschaft wirft dem 40jährigen türkischen Staatsbürger Sadi Naci Ö. »Rädelsführerschaft« in einer terroristischen Vereinigung vor. Er soll Leiter der Organisation für Deutschland und Teile Westeuropas gewesen sein. Darüber hinaus soll er sich wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung beim Eintreiben von Spenden strafbar gemacht haben.
Nick Brauns | www.jungewelt.de