Artikel von Anna Trumatova, Düsseldorf/Annette Hauschild, Koblenz
aus der Jungen Welt vom 10. Juli 2010

Jenseits von Rechtsstaatlichkeit Prozesse gegen "Terrorverdächtige" in Düsseldorf und Koblenz fortgesetzt.
EuGH schränkt Gerichtswillkür ein

Die Beweislage gegen die Männer, die derzeit vor den Oberlandesgerichten (OLG) Düsseldorf und Koblenz stehen, ist dünn. In beiden Fällen spielt der berüchtigte Strafrechtsparagraph 129 b eine wesentliche Rolle, nach dem die »Bildung und Unterstützung« von »terroristischen Vereinigungen« im Ausland geahndet wird. Wie in vielen Fällen zuvor wird er derzeit in Düsseldorf gegen aus der Türkei stammende linke Aktivisten angewendet, denen Mitgliedschaft in bzw. Unterstützung der DHKP/C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) vorgeworfen wird. In Koblenz wiederum stehen zwei junge Männer wegen angeblicher Unterstützung des »Terrornetzwerks« Al-Qaida vor Gericht. In den Verhandlungsterminen diese Woche wurde in Düsseldorf ein Antrag auf Haftentlassung abgelehnt.In Koblenz hielten die Verteidiger ihre Plädoyers.

Der Düsseldorfer Prozeß wurde bereits im März eröffnet. Cengiz O., Nurhan E. Und Ahmet I. werden nicht nur Bildung und Unterstützung einer »terroristischen Vereinigung« im Sinne von § 129 vorgeworfen, sondern auch vermeintliche Verstöße gegen Paragraph 34 des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) in Zusammenhang mit einer Mitgliedschaft in einer auf der sogenannten EU-Terrorliste stehenden Organisation. Konkrete Vorwürfe betreffen die Arbeit in legalen Kulturvereinen der Anatolischen Föderation, Kampagnen zur menschenrechtswidrigen Situation in türkischen Gefängnissen und finanzielle Unterstützung politischer Gefangener.

Doch zumindest auf den § 34 AWG darf sich das Gericht nun nicht mehr stützen, wie aus einem Beschluß des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg von Ende Juni hervorgeht, da sich die Vorwürfe auf den Zeitraum bis Juni 2007 beziehen, in dem die Listung der DHKP/C ungültig war.

Die Verteidiger forderten auf Grundlage des EuGH-Urteils, die Angeklagten müßten »sofort aus der Untersuchungshaft entlassen werden«. Doch der OLG-Senat schmetterte einen entsprechenden Antrag am Mittwoch ohne konsistente Begründung ab.

Erneut zeigte sich diese Woche, in welchem Ausmaß sich die Düsseldorfer Richter jenseits rechtsstaatlicher Maßstäbe bewegen. Nachdem in den letzten Monaten ausschließlich Beamte von Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst gegen die Beschuldigten ausgesagt hatten, war dieses Mal ein Zeuge geladen, der bereits wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der DHKP/C verurteilt und mittlerweile wieder auf freiem Fuß ist. Er ist seit seiner Inhaftierung psychisch krank, leidet unter paranoiden Vorstellungen und Verfolgungsängsten und bekommt seit drei Jahren starke Psychopharmaka. Ein Gutachter bescheinigte ihm dennoch Verhandlungsfähigkeit. Als der Zeuge während der Befragung nicht zu eindeutigen Aussagen in der Lage war, drohte ihm der Vorsitzende Richter mit Beugehaft. Eine Mitarbeiterin des Bundesnachrichtendienstes wiederum wollte im Zeugenstand nicht ausschließen, daß von ihr erlangte Erkenntnisse durch Folter zustande gekommen sein könnten.


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