Fragwürdiges Sonderrecht

Neuer Prozeß gegen türkische Linke: Bundesanwaltschaft beruft sich auf EU-»Terrorliste«
Von Lenny Reimann, junge Welt vom 10.03.2010

Am Donnerstag beginnt vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf der Prozeß gegen die linken Aktivisten Cengiz Oban, Ahmet Istanbulu und Nurhan Erdem. Den Angeklagten werden Verstöße gegen Paragraph 34 des Außenwirtschaftsgesetzes in Zusammenhang mit einer vermeintlichen Mitgliedschaft in einer auf der EU-»Terrorliste« stehenden Organisation, in diesem Fall der türkischen DHKP/C, vorgeworfen. Besagter Paragraph sieht vor, daß diejenigen, die gegen eine wirtschaftliche Sanktionsmaßnahme der EU oder der Vereinten Nationen gegenüber bestimmten Organisationen verstoßen, zu Haftstrafen zwischen sechs Monaten und 15 Jahren verurteilt werden können. Den Beschuldigten, die sich mittlerweile seit über einem Jahr in Untersuchungshaft befinden, wird von der Bundesanwaltschaft (BAW) zudem die Mitgliedschaft in einer »terroristischen Vereinigung« im Ausland gemäß Paragraph 129 b Strafgesetzbuch vorgeworfen. Dies, obwohl sich die Angeklagten einzig in legal tätigen Kulturvereinen und in Kampagnen gegen die menschenrechtswidrige Situation in türkischen Gefängnissen engagiert haben.

Britta Eder, eine der Verteidigerinnen der Beschuldigten, erklärte am Dienstag, das von der BAW angestrebte Anklagekonstrukt sei »weit beliebiger als der bisher in ähnlichen Prozessen im Vordergrund stehende Paragraph 129b«. Aufgrund seiner Unbestimmtheit sei es rechtswidrig, eine angemessene Verteidigung daher nicht möglich, so die Anwältin. Sie äußerte die Befürchtung, daß in dem Verfahren ein neues Mittel der Kriminalisierung mißliebiger politisch aktiver Menschen erprobt werden solle, das kaum mehr einer juristischen Kontrolle unterliege.

In der Vergangenheit hatte bereits der EU-Sonderermittler Dick Marty das Vorgehen der EU mit Blick auf deren »Terrorliste« als ungerecht und »pervers« bezeichnet. So würden Menschen im Sinne des Feindstrafrechts mit der Strafe des gesellschaftlichen Todes belegt, da sie in keiner Weise mehr handlungsfähig wären. Selbst Serienkiller hätten mehr Rechte als Mitglieder der aufgelisteten Organisationen, so Marty.

Lenny Reimann