Bericht zum ersten Prozesstag am 11. März 2010:

Nahezu anderthalb Jahre in Isolationshaft lagen hinter Nurhan Erdem, Cengiz Oban und Ahmet Istanbullu als sie am Donnerstag (11.3.2010) in Saal 1 des Oberlandesgerichtes Düsseldorf geführt wurden. In dem fast voll besetzten Zuschauersaal skandierten die Menschen zur Begrüßung:
„Devrimci Tutsaklar Onurumuzdur“,
was sich die bürgerlichen Pressevertreter gleich übersetzen ließen:
„Die revolutionären Gefangenen sind unsere Ehre“.

Gezeichnet von der überlangen U-Haft und deren Isolationsbedingungen waren alle drei, aber es war ihnen anzumerken, dass sie sich freuten nahe Verwandte und FreundInnen erblicken zu können, so sah Nurhan erstmalig nach ihrer Festnahme ihren Vater wieder, er darf sie nicht besuchen, Besuchsverbote - werden willkürlich und selbst gegen nächste Angehörige ausgesprochen.

Wegen der überlangen Untersuchungshaft hatte die Verteidigung beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe beantragt, den Haftbefehl aufzuheben und die Mandanten unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Dieser Antrag wurde abgelehnt.

Es folgte die Belehrung der Dolmetscher, sodann sollte Gutachter Leygraf sich zur Verhandlungsfähigkeit von Nurhan Erdem äußern – Nurhan leidet stark unter den Isolationshaftbedingungen.

Der Gutachter suchte sie einmal vor dem 1. Verhandlungstag auf – da aber wies Nurhan Erdem den Gutachter Leygraf darauf hin, dass sie seine Rolle als Sachverständiger in einem Verfahren dieser Art, das migrantische Strukturen kriminalisiere und verfolge, nicht akzeptiere und sie deshalb nicht kooperiere.

Sie werde ihre Verhandlungsfähigkeit selber einschätzen: „Ich bin verhandlungsfähig“. Ahmet Istanbullu machte keinerlei Angaben, auch nicht zur Person. Cengiz Obans Verteidigerinnen Anni Pues und Britta Eder beantragten, das Verfahren auszusetzen, da die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg zur Listung ausstehe. Der EuGH ist das höchste Europäische Gericht und seine Entscheidungen sind für nationale Gerichte und Regierungen bindend. In mehreren Urteilen hatte der Europäische Gerichtshof in Luxemburg das Listungsverfahren kritisiert als weder demokratisch noch rechtlich legitimiert oder kontrolliert.

Die VerteidigerInnen stellten dar, dass das gesamte Anklagekonstrukt aufgrund seiner Unbestimmtheit rechtswidrig sei. Dass die Strafbarkeit einer Person von in regelmäßigen Abständen wechselnden EU-Ministerratsbeschlüssen abhängen solle, genügt dem Verfassungsgrundsatz des Art. 103 II Grundgesetz nicht. Strafgesetze müssen danach so hinreichend bestimmt sein, dass Jede/r klar erkennen können soll, wann eine Strafbarkeit vorliegt. „Die Entscheidung würde, wenn sich das Konstrukt der BAW durchsetzt, vielmehr durch die grund- und menschenrechtlich höchst fragwürdige Aufnahme der Organisation auf die EU-Terrorliste vorweggenommen und somit einer effektiven, einem Strafverfahren angemessenen, gerichtlichen Kontrolle entzogen“, so Rechtsanwältin Anni Pues. „Wir befürchten, dass hier ein neues Mittel der Kriminalisierung unliebsamer politisch tätiger Menschen erprobt werden soll, das kaum mehr einer juristischen Kontrolle unterliegt.“, fügt Rechtsanwältin Britta Eder hinzu. Auf solch einer Grundlage könnte künftig quasi jegliche Unterstützungsarbeit von politischen Gefangenen oder in Kulturvereinen kriminalisiert werden.

Außerdem halten die Anwälte die Anklage nicht für stichhaltig, da sich zahlreiche Tatvorwürfe lediglich auf «vermeintliche Spendensammlungen in unbekannter Höhe an unbekannten Orten in Deutschland oder dem europäischen Ausland» bezögen. Nun folgte die Verlesung der Anklageschrift, sie enthält jeweils die immer wieder gleichen Formulierungen und Vorwürfe, die Betroffenen seien "hochrangige Führungsfunktionäre" und seien an der "innerhalb der DHKP-C bestehenden terroristischen Vereinigung in der Türkei beteiligt" die DHKP-C habe sich "zum Ziel gesetzt, den türkischen Staat mittels eines bewaffneten Kampfes zu beseitigen und durch ein marxistisch-leninistisches Regime unter ihre Kontrolle zu ersetzen". Bundesanwalt Homann erweiterte die Formulierung, indem er meinte, der Bundesanwaltschaft komme es auf 10 oder 15 Jahre Inhaftierung nicht an. Die Verteidigung verbat sich in scharfer Form derartige Äußerungen von Bundesanwalt Homann.

Weiterhin stellte die Verteidigung einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Ottmar Breidling. Er habe in einem Seminar geäußert, dass es für einen Vorsitzenden Richter darauf ankomme, direkt am ersten Prozesstag die «Lufthoheit» zu bekommen. Dies zeige, dass der Richter das Verfahren als «kriegerische Handlung» begreife und eine feindliche Einstellung zu den Angeklagten habe. Alle Anträge der Verteidigung wurden nach kurzer Erörterung abgelehnt. Nach einer Unterbrechung verlas Cengiz Oban seine 14-seitige Prozesserklärung auf Türkisch. Als er einige Übersetzungsfehler des Gerichtsdolmetschers korrigiert haben wollte, forderte ihn Richter Breidling auf seine türkische Erklärung beim Lesen selbst auf Deutsch zu übersetzen.

Cengiz´ Verteidigerin Anni Pues wies darauf hin, dass ihr Mandant ein Recht auf eine Übersetzung habe.

Beginnend mit Maos Satz: „Der Hauptfeind der Menschen dieser Welt sind die USA“ zählte Cengiz Oban alle Kriege des US-Imperialismus auf, von Vietnam bis Afghanistan. Von 1933 bis 1945 hätten die USA das Henkertum an Hitler abgetreten. Es folgten die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, in deren direkten Folge 130 000 Menschen starben. „Sie haben niemals gezögert, Waffen gegen die Völker dieser Welt einzusetzen… Alles liegt in seiner Nacktheit offen dar und ist für jeden sichtbar. Irak ist das beste Beispiel. Was die USA im Namen von Demokratie und Freiheit machen, ist offensichtlich. Sie haben nichts anderes als Blut und Tränen gebracht. “ Es seien die Demagogen des Terrorismus, die ihren eigenen Terrorismus verbergen würden. Nurhan Erdems Rechtsanwältin Möller verlas die vierseitige Erklärung ihrer Mandantin, die davon sprach, dass Nurhan sich im Rahmen der Verhandlung an Hexenverfolgung erinnert fühle.

Fortsetzung der Verhandlung ist am 18. März dann um 9.15 Uhr in Düsseldorf, Kapellweg 36.