Brief von Nurhan Erdem

... über Solidarität

30. Oktober 2009

Lieber ....,                                                                                     Deinen Brief vom 16.10. habe ich erhalten......

Du hast Recht  die Rechte, für die man gekämpft hat, existieren nicht mehr. Im Laufe der Jahre wurde alles wieder zurückgenommen. Es war auch nicht so schwer, weil es keinen  starken organisierten Widerstand mehr gab.. ..

Über die Veranstaltungen (befassen  sich  den juristischen Aspekten, der Isolation und Vorstellungen der Gefangenen und der Solidarität) denke ich eigentlich, dass die Themen zusammengehören und dass man die Themen auf jeden Fall nicht trennen sollte. Natürlich ist es schwer,  alles ausführlich zu erklären, aber man kann doch die Gemeinsamkeiten darstellen und mit einzelnen Beispielen belegen. Das sind meine Gedanken - ich denke jedes Thema hat seinen Platz: Isolation und §§ 129 a/b sollten im Mittelpunkt stehen - die Auseinandersetzung mit diesen Themen bedeutet die Darlegung der Repressionen: Verhaftungen, Isolation etc. ..

Sprachliche Probleme (zwischen türkischen und deutschen Linken) sollten auch erwähnt werden: Ohne Sprache gibt es keine Kommunikation.  Aber ich sehe das nicht als einziges Problem, über unsere Arbeit existieren genügend Informationen auf Deutsch. Die Probleme sind anderer Natur - seit den 90er Jahren.....Ob wir genügend  dazu gearbeitet haben, kann ich nicht beantworten.

Auf der anderen Seite widersetzt  sich die deutsche Linke gegen Strukturen, die als starr angesehen werden.

Über diese Geschichte las und hörte ich viel. Mit dieser Vorgeschichte ist man natürlich gegen starre Strukturen, aber das akzeptiere ich nicht. Ohne eigene verbindliche Organisierung ist aber keine starke und längerfristige Praxis möglich. Darauf will ich nicht beharren, denn mir ist auch bewusst, dass ich durch meine Isolation nicht immer objektiv denken kann. 

Doch mir ist klar, dass wir ohne gut organisierte gemeinsame Arbeit keine große Chance haben. .....

Viele haben Vorurteile, weil Mustafa nicht Olaf heißt ist Solidarisierung schwierig. Und: Wer solidarisiert sich mit wem?  Wir - ich kämpfe für Rechte in Deutschland. Ich bin genauso betroffen wie jeder deutsche Linke, wie Du an meiner Situation siehst, bin ich sogar verdammt stark betroffen, weil ich Ausländerin bin.

Aber eins kann ich Dir versichern, ich fühle mich nicht als Ausländerin, ich fühle mich als Mensch und ich habe die Verantwortung als Mensch, unabhängig  wo ich lebe mich mit den Problemen auseinanderzusetzen und dagegen zu kämpfen.

§ 129 b gehört im Moment zu meinem Kampf und so wird es bis zum Ende weiter gehen. Als Person versuche ich vom Knast aus diesen Kampf weiter zu führen. Auf rechtlicher Ebene habe ich ein paar Scheinrechte, die versuche ich zu nutzen, obwohl ich weiß, dass ich vieles nicht erreichen werde. Aber es geht ja nicht nur um mich. Es geht hauptsächlich darum, dass man einen Weg finden sollte. Wenn es scheitert kann man immer noch andere Methoden entwickeln - die Hauptsache ist, dass man nicht aufhört zu kämpfen. Weißt Du, Blockaden müssen abgebaut werden. Das habe ich immer wieder versucht (und nicht nur ich alleine) und das werde ich weiter tun, Du kannst auf mich zählen! Wie viele linke politische Gefangene gibt es insgesamt in Deutschland? Sind es alle, die im Gefangenen Info stehen oder sind es mehr?  Ich habe vor allen zu schreiben, eine Kommunikationswelle im Knast zu gründen.

Bei mir gibt es nichts Neues. Mir geht es gut, manchmal habe ich natürlich Tage, an denen ich mehr Probleme mit mir selber habe. Aber daran habe ich mich gewöhnt: An solchen Tagen mache ich Musik oder male. Ich lasse es raus. Wir sind keine Maschinen, wir sind Menschen mit Gefühlen. Ich habe, glaube ich, zuviel Gefühl, was mich manchmal richtig blockiert, aber diese Seite ist auch meine Stärke, also lebe ich mit mir manchmal in Frieden und manchmal im Krieg.

Mit Verzweifelung meinte ich eigentlich die Verzweifelung der Regierenden. Sie sind verzweifelt und erschaffen Lügen. Die sind verzweifelt und schikanieren Menschen und Organisationen. Alle politisch Aktiven, ob junge oder alte Linke, sind nicht mehr sicher vor § 129 b, jede Zeile eine Flugblattes könnte eine Unterstützung bedeuten. Isolierung ist keine Methode, die nur bei Gefangenen angewandt wird, es eine Methode, die auch draußen bei jedem Aktiven benutzt wird. Draußen in Freiheit versucht man diese Isolation mit Gesetzen  durchzuführen.

Herzliche Grüße
Nurhan

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