Brief von Cengiz Oban

... zum Verhältnis der deutschen zur türkischen Linken

29. November 2009 (Der Brief kam erst am 19.01.2010 an)

Lieber..,                                                                                 

Am Tag ihrer Entlassung habe ich Güler Zere im Fernsehen mit erhobener Faust ebenfalls gesehen. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Hätte sie ihre politische Identität aufgegeben, wäre sie viel früher rausgekommen. Das ist ein gutes Beispiel zu der Diskussion, um humanitäre und politische Forderungen. Es geht nicht allein um das Rauskommen, sondern um den Kampf für Rechte und die der Würde. Auf Grund ihres gesundheitlichen Zustandes  hätte sie das Recht auf sofortige Entlassung und einer menschenwürdigen Behandlung gehabt. Doch der Staat verzögerte das und versuchte vergeblich, ihre politische Identität  zu brechen. Güler lehnte diese Erpressung trotz ihres lebensbedrohlichem Zustandes ab. Um so kostbarer ist jetzt der Sieg durch ihre errungene Freiheit.

Zu der Diskussion deutsche Linke und der Linken aus der Türkei: Es gibt sicher gegenseitige Blockaden. Es geht nicht darum wer "Schuld" daran hat. Es liegt sowohl an uns, als auch an der deutschen Linken. Es gibt viele Streitpunkte. Du hast einige davon erwähnt. Mir fallen auch dutzend weitere ein. Über einzelne Punkte zu diskutieren bringt uns nicht weiter. Jeder hat seine eigene Geschichte, jeder baut darauf auf. Grundsatzdiskussionen finde ich effektiver und wichtiger.

Die Entfremdung der hiesigen Linken ist für mich einer der wichtigsten Diskussionspunkte.
Es gibt hier viele Gruppen, für die sind Beziehung untereinander herzustellen genauso schwierig wie zu uns.
Ich möchte auf folgendes hinaus: Viele antifaschistische Gruppen nehmen kaum Bezug zum  Kapitalismus. Genauso existieren anti-kapitalistische Gruppen, die den Imperialismus nicht problematisieren. Auch Anti-imps beziehen sich nicht auf internationale Bewegungen.
Sie nehmen keinen Bezug zum Kern ihrer Existenz und damit zur Quelle ihres Daseins. Diese Merkmale kennzeichnen die gesamte linke Bewegung.  Die deutsche Linke hat sich nach meiner Einschätzung von ihrem Ursprung entfremdet. Solch eine Diskussion würde sie weiter und uns näherbringen.

Die wachsende Solidarität der einheimischen Linken mit unseren Verfahren bekomme ich ebenfalls mit. Der Staat fühlt sich auch hier gestört und versucht die Solidarität mit Kriminalisierung des Infos, der Gruppen und von Einzelnen zu unterbinden. Auch die Erklärung des Verfassungsschutzes Baden-Württemberg (nach der Demonstration im Sommer 2008 für die damals 5 türkischen 129b-Gefangene in Stuttgart-Stammheim) zu der Zusammenarbeit der deutschen Linken und der linken Gruppen aus der Türkei zeigte, wie sie sich gestört und bedroht fühlen.

Lieber...., ich mache hier mal Schluss mit der Erwartung einer baldigen Antwort.

Revolutionäre Grüsse
Cengiz Oban

P.S Ich habe dem Symposiums (in London) mitgeteilt, dass ich mich an dem Hungerstreik vom 19-21.12 beteiligen werde...

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